Marine-Humoreske von Victor Laverrenz
in: „General-Anzeiger Bonn” vom 29., 30.5.1896
„Beide Wachen antreten zur Arbeitsvertheilung!” rief der Bootsmannsmaat der Wache mit rauher, weithinschallender Stimme über das Deck, nachdem sein langgezogener Pfiff verhallt war, und pflichtgemäß wiederholten die Wachthabenden in der Batterie und im Zwischendeck den Befehl, welcher soeben vom Bootsmann Fuchtig dem wachthabenden Officier überbracht worden war.
„Raus! Beide Wachen an Deck!” feuerte der Wachtmeister die Matrosen an. Ein dumpfes Getrampel der barfüßigen Leute tönte durch die Decke des wie ein aufgestörtes Wespennest summenden Schiffes und in wenigen Minuten standen die Mannschaften auf dem Verdeck bereit.
„Heizer und Handwerker an die Arbeit, Spielleute zum Ueben!” commandirte der Bootsmann barsch: „Runters mit Euch, Ihr Schwarzkünstler und Knüppel-Musikanten! Obermatrose Plietsch, Sie gehen mit Ihren Blechpustern in die Sandlast. Eure Heimaths-klänge und Kanakermärsche will ich hier nicht hören. Verstanden?”
„Jawohl, Herr Bootsmann,” erwiderte Plietsch, der an Bord Seiner Majestät Schiff „Frigga”, den Posten eines Capellmeisters bekleidete und neben der Charge eines Obermatrosen noch die eines Hornisten und Dirigenten bekleidete und drei Matrosen unter sich hatte, deren einer ebenfalls Hornist, beziehungsweise Flötist war, während die beiden Uebrigen als Trommler sich der Bearbeitung des edlen Kalbfells befleißigten.
Plietsch zog also mit seinen drei „Collegen von der Kunst” los aach der Sandlast, welche sich vorn im sogenannten Collisionsschott befand und weder Licht- noch Luftlöcher aufwies. Sie war nur durch eine Luke von oben aus zugänglich und vom Bootsmann aus dem Grunde zum Uebungsplatz für die Skandalmacher bestimmt, weil von dort aus die Töne am wenigsten in die übrigen Theile des Schiffes dringen konnten.
Es dauerte nicht lange, so tönten von unten herauf die mehr lauten, als musikalischen Töne der bekannten Reveille mit dem ironischen Text: „Freut Euch des Lebens!” und der Bootsmann bemerkte zu seinem Schrecken, daß die Spielleute das Luk der Sandlast offen gelassen hatten, so daß der Schall ungehindert durch die Batterie an das Deck dringen konnte. Und, wie schon gesagt, sehr melodisch waren sie nicht, denn die Musikanten waren bei der Bearbeitung ihrer Instrumente lediglich auf Gehör und Gefühl angewiesen, denn Licht drang in den bis auf den Kiel des Schiffes reichenden Raum nicht und Noten gab es ebensowenig.
Aergerlich rannte der Bootsmann hin und her.„Zum Kuckuck!” rief er. „Haben die Kerls wieder den Hammerkasten nicht dicht gemacht!”
Ein dienstbeflissener Batterie-Aufklarer aber stürzte sofort nach vorn. Ein Ruck, das Luk zur Sandlast war zugeklappt, und die schöne Musik gerade beim „Lämpchen glüht” abgeschnitten, was um so malitiöser war, als nunmehr die Herren Musici völlig im Düstern saßen.
Nun, eine Sandlast hat aber auch ihr schönes. Sie liegt so heimlich, still und weltvergessen in den untersten Winkel des Vordersteven geschmiegt und keines Vorgesetzten Fuß betritt dieses dunkle Lugloch. Musikmachen ist immer noch angenehmer, als die Arbeiten oben an Deck, namentlich heute, wo dort oben in der Takelage viel zu thun war, denn die Fregatte hatte gestern einen hübschen Sturm durchgemacht, der das Takelwerk arg zerzaust hatte.
Der in der Last angehäufte Sand gab aber Gelegenheit zu kunstvoller Gestaltung von Sitzmöbeln, und so hatten sich die vier dort unten richtige Sopha's gebaut, welche fein mit Werg ausgepolstert wurden.
Nach gethauer Arbeit ist gut ruhen. Diese Wahrheit erfuhren auch die Spielleute an sich und so stellten sie denn bald ihre Thätigkeit ein, legten die Instrumente bei Seite und sich selbst auf die Sopha's.
„Hier is et aber baunig heiß”, sagte Plietsch. „Wir wollen en beten töben(pausiren)!” Damit streckte er sich bequem auf seinem improvisirten Kanapee zurecht, und es dauerte gar nicht lange, so verkündeten lange, tiefe Athemzüge, daß der geplagte Capellmeister in ein besseres Reich entschlummert war.
„Wat machst Du denn da?” fragte Klapphorn, der zweite Hornist, den Obermatrosen, denn sehen konnte er nichts. Aber keine Antwort ertönte. Auch er und die beiden Trommler hatten sich's auf den künstlichen Polstern bequem gemacht, bald thaten die dumpfe Luft und das gleichmäßige Rauschen des Bugwassers, welches durch die Schiffswände hereintönte, das Ihrige, und alle vier waren sanft entschlafen. Man wird müde auf einem Schiff, wenn man von vierundzwanzig Stunden nur sechs Stunden schlafen kann und während der übrigen Zeit angestrengt arbeiten muß. Jetzt aber glitt die Fregatte so lieblich durch die leichten Wellen des Atlantischen Oceans, daß sie die Schlummernden sanft und kosend hinüberwiegte in das Reich der Träume.
Der Bootsmann Fuchtig hatte erleichtert aufgeathmet, als dem Skandal aus der Sandlast durch Dichtmachen der Luke ein Ende gemacht worden war und mit erhöhter Thätigkeit stürzte er sich auf die Ausbesserung der Takelage. Da mußten die Bramestengen für See gesetzt werden, Schampfilings erneuert, gelabsalt und die Racks gefettet werden, genug, er hatte alle Hände voll zu thun, und wußte gar nicht, wo er zuerst anfangen sollte. Wie eine Quecksilberkugel, die bei dem unaufhörlichen Schwanken des Schiffes auf Deck gegossen wäre, keinen Ruhepunkt finden würde, so rollte er fortwährend hin und her, von vorn nach achtern, von Backbord nach Steuerbord und bedauerte nur, daß er nicht an allen Orten zugleich sein konnte. Kein Mensch auf der ganzen Welt hat so viel auf einmal zu thun, wie ein Bootsmann auf einem Kriegsschiff, wenn der Tornado mal ein Bischen mit der Takelage Schindluder gespielt hat.
Da erschien der erste Officier an Deck, um den Bootsmann noch in eine gesteigerte Aufregung zu versetzen. Wenn er auch schon aus sich selbst heraus alles mögliche gethan hätte, so war doch die Anwesenheit des ersten Officiers immer noch ein ganz besonderer Stachel, da dessen kritisches Auge mit tödtlicher Sicherheit jeden Schwupper unfehlbar entdeckte.
Namentlich Corvetten-Kapitän Donner war nicht grade der angenehmste Vorgesetzte. Er war Hagestolz und durch allerlei trübe Erfahrungen im Leben ein bischen verbittert. Im Dienst war er fast zur Verknöcherung des Marine-Exercierreglements geworden. Er hatte die Regelmäßigkeit eines Chronometers und versah seine Obliegenheiten mit der Seelenlosigkeit eines Automaten. Man konnte es ihm nicht abstreiten, daß er sehr tüchtig in seinem Fach war und besonders ein vorzüglicher erster Officier für eine Kreuzerfregatte, für seine Mannschaften jedoch hatte er kein väterliches Herz. Im Gegentheil, er war eben so eisern im Dienst wie mißtrauisch, und glaubte, daß seine Untergebenen auf nicht anderes sännen, als ihn irgend wie zu dupiren, oder sich von dem ihnen zugemessenen Dienst zu drücken.
„Bootsmann! Wie steht's mit der Arbeit?” fragte Donner und ließ prüfend seinen Blick über die Masten gleiten.„Sie werden nicht fertig?”
„Nein, Herr Kapitan! Kann die Abendmusterung nicht ausfallen?”
„Werde den Commandanten fragen lassen,” erwiderte Donner und zog sich auf das Achterdeck zurück. Fünf Minuten später hatte der Bootsmann den ersehnten Befehl, denn nun konnte er ungestört in seiner Takelage weiter arbeiten lassen und das Schiff, welches seiner Ansicht nach augenblicklich noch aussah wie eine chinesische Seeräuberdschunke, wieder in einen wenn auch nur einigermaßen anständigen Zustand bringen.
S. M. Schiff „Frigga” war auf ihrer Reise von St. Vincent nach Rio de Janeiro in die Region des Süd-Ost-Passat gelangt und so gab es voraussichtlich heute für die Mannschaften eine gute Nacht, was ihnen nach dem gestrigen Sturm auch wohl zu gönnen war. Die Ansicht theilte auch der überaus poetisch veranlagte wachthabende Officier Lieutenant zur See Blitz, welcher mit eleganten Schritten auf der Commandobrücke auf und nieder segelte. Sein rothblonder Vollbart spielte in der leichten Brise um sein gebräuntes, wohlwollendes, echtes Seemannsgesicht und unter dem Arm trug er das Fernrohr, welches ihn als Wachthabenden kennzeichnete.
Blitz war ein humaner Mann und sorgte für seine Leute.
„Lassen Sie das Regensegel für die Abendwache klar legen, Segelmacher”, befahl er in gütigem Tone und in wenigen Minuten war das Segel aus der Koje geholt, zur Luward auf dem Verdeck halb aufgerollt und eins, zwei, drei hatten die Mannschaften auf dem willkommenen Schlummersack Posto gefaßt. Die gerollte Hälfte diente als Kopfkissen und das untere Ende der aufgerollten Hälfte wurde übergeklappt und als Schlafdecke benutzt. Nur die Drückeberger, welche jeder Arbeit aus dem Wege gehen und auch heut sich am Heraufholen des Segels nicht betheiligt hatten, wurden von dem gemeinsamen Unterschlupf ausgewiesen und mußten sich in irgend einer Ecke herum drücken.
Der Abend war inzwischen herniedergesunken. Sanft blies die Brise in die Segel und neigte die Fregatte leicht nach Steuerbord über. Es war einer jener herrlichen Abende in den Tropen, welche das Herz des Menschen aufgehen lassen in einem Vorgefühl der Unendlichkeit. Der klare Himmel stand wolkenlos über dem Meer und die Sterne funkelten in einem Glanze, wie er der gemäßigten Zone völlig fremd ist.
Der wachthabende Officier schien den berauschenden Duft des Atlantic mit vollen Zügen einzusaugen. Er stand auf der Commandobrücke und schaute'sinnend hinaus auf die endlose leicht wogende Fläche. Sein Herz umspielten freundliche Gedanken und er gab sich ganz der weihevollen Stimmung hin, welche die Unendlichkeit des Sternenhimmels in ihm erzeugte.
Von den Posten tönte der eigenthämlicht-singende Ruf:„Auf der Back ist alles Wohl. Laterne brennt!” u. s. w. durch die Nacht und stiller Friede lagerte über dem ganzen Schiff.
Auf dem Verdeck ging der wachthabende Bootsmannsmaat Seebär herum, überzeugte sich vom Stand der Segel, beobachtete die Posten und prüfte die Ankerbefestigungen. Der Segelmacher Büdelmeyer, welcher als Freiwächter noch nicht schlafen gehen mochte, trat ein bischen zu ihm heran und man spann in der lauen Sommernacht ein kleines Garn. Alles athmete den tiefsten Frieden, da scholl plötzlich ein Ruf an ihre Ohren, welcher ihr Blut zu Eis erstarren machte und die idyllische Ruhe mit einem Mal verscheuchte.
* * *
Doch kehren wir zurück zu unseren Spielleuten, welche in der Sandlast einen wohligen Schlummer schliefen.„Backen und Banken”, „Freiwache klar bei Hängematten”, „Pfeifen und Lunten” und alle diese wichtigen Commandos waren spurlos an ihnen vorübergegangen. Die Natur forderte ihr Recht und die ermüdeten Glieder pflogen so gern der langentbehrten Ruhe.
Aber man schläft nicht ewig, nicht ein Mal in einem so molligen Winkel, wie die Sandlast einer ist, und namentlich nicht, wenn man „Backen und Banken” verpaßt hat. Da knurrt der Magen und macht gebieterisch seine Rechte geltend. Auch bei Plietsch regte sich der Hunger; er dehnte sich mächtig und erwachte so langsam.
„Himmel, ist das eine Dusterniß!” dachte er bei sich, denn vorläufig wußte er überhaupt noch gar nicht, wo er sich befand. Er glaubte, er läge in der Batterie in seiner Hängematte; als er jedoch munterer wurde, wunderte er sich, daß er die Laterne nicht brennen sah.
„Nanu!” sagte er bei sich und richtete sich auf. „Himmel!” In was hatte er da gefaßt. Es war weich und feucht. Das war ja Sand. „Wie kommt denn Sand in meine Hängema....! Ha! Das ist ja gar keine Hängematte! Wo bin ich denn eigentlich? Schockschwerebrett! Wahrhaftig! Gerechte Oberbramstange! Jetzt fällt mir ein, wir sind ja in der Sandlast! Aber wo sind denn die Anderen? Heda Klapphorn, Blasius, Schläger! Wo seid Ihr?”
Nur ein dumpfes Grunzen antwortete ihm. Jetzt sprang Plietsch mit einem Satz auf: „Jungens”, rief er,„wacht auf; wir sind ja allesammt eingeschlafen! Raus mit Euch. Ich glaube gar, es ist schon „Backen und Banken!” Daß wir nur nicht das Abendbrod versäumen.”
„Oh, das wäre noch schöner”, jammerte nun Klapphorn: „dann nehmen Sie mir vielleicht mein Frischbrod weg, welches ich mir in der Bottelierslast sauer genug-verdient habe.”
Nach und nach wurden Alle munter und Schläger kletterte inzwischen die Sprossen empor zum Luk.
„Mache auf”, rief Plietsch, „daß wir Licht und Luft kriegen. Wir sticken ja hier unten.”
Schläger drückte gegen den Deckel. Umsonst, er gab nicht nach. Es wurde klar, man war eingeschlossen.
„Du bist ein Schafskopp, Schläger!” sagte Plietsch mit Ueberzeuzeugung. „Komm runter. Ich will mal raufklettern.”
Der Tambour kletterte wieder herunter, stieß dem Obermatrosen gegen die Nase; Plietsch, darüber erbost, schlug mit der Faust zu, traf aber, da er in der Dunkelheit nichts sah, Klapphorn's Gesicht und der schimpfte auf Schläger, da er glaubte, dieser sei der Attentäter gewesen. Jetzt wurde erst eine Weile geschimpft, dann fühlte sich Plietsch, nachdem er, in der Dunkelheit tastend, zuerst Blasius Nase erwischt, nach der Leiter und die Sprossen hinauf. Er war eher oben, als er dachte, stieß mit dem Kopf heftig gegen das festgeschlossene Luk, schrie ein kräftiges -Ei verflucht!- und sprang hinab. Da gab es einen mächtigen Knall in der Sandlast, daß man zunächst glaubte, das Schiff sei kollidirt; dann merkte aber Plietsch, daß er eine Trommel am Bein hatte, die er aber nun fein säuberlich, ohne ein Wort zu reden, abstreifte und bei Seite stellte.
„Was war denn das für ein Knall?" fragte Klapphorn endlich. „Habt Ihr nichts gehört?”
„Nicht das Geringste", log Plietsch mit staunenswerther Sicherheit. „Du hast wohl geträumt?”
„Freilich hat es geknallt”, sagte Schläger. „Wir werden doch nicht auf ein Riff gefahren sein?"
„Ih wo”, meinte Blasius. „Da hat einer in der Batterie eine Laterne fallen lassen.”
Es kletterten nun auch noch die beiden Anderen zum Luk empor, aber mit ebenso wenig Erfolg. Der Deckel war absolut dicht.
Die Atmosphäre in dem kleinen Raum begann schon beängstigend dick zu werden und draußen war es so unheimlich still. Nur das ebenmäßige Rauschen des Bugwassers zeugte davon, daß noch Leben im Schiff sein müsse. Vergebens hatte man geklopft, gebummert, gerufen und sonst einen Heidenspektakel vollführt; es hatte nichts geholfen. Man war und blieb abgeschlossen.
Jetzt bemächtigte sich aber der Insassen eine Heidenangst. Man war ohne Zweifel vergessen worden und hier vielleicht einem langsamen Tode preisgegeben; denn nach der Sandlast kam manchmal acht bis vierzehn Tage lang kein Mensch. Außerdem war die Luft, da der Zutritt von außen fast hermetisch abgeschlossen war, so dick und stickig geworden, daß man allen Ernstes Befürchtungen hegen mußte. Verzweislungsvoll berieth man miteinander, und Blasius, der etwas ängstlicher Natur war, fing an zu jammern und verlangte, Plietsch solle ihn sofort herauslassen. Die Lage der Spielleute wurde immer bedrängter. Wenn man sie wirklich vergessen hatte und vielleicht die Abendmusterung, wie das manchmal vorkommt, wenn viel zu thun ist, ausgefallen war, so blühte ihnen zum Mindesten die Aussicht, bis morgen früh vier Uhr hier unten sitzen zu müssen. Welche Tageszeit es ungefähr war, davon hatte man keine Ahnung; denn erstens war kein Mensch mit einer Uhr versehen, und wäre dies der Fall gewesen, so hätte man doch in dem dunklen Loch nichts sehen können.
Blasius wurde immer ängstlicher und behauptete allen Ernstes, es ginge mit ihm zu Ende; denn die Luft würde ihm knapp und er kriegte bereits Athembeschwerden. Dann erinnerte er sich plötzlich, daß er früher als Kind viel an Krämpfen gelitten habe, und es stieg in ihm die Befürchtung auf, daß sich dies jetzt wiederholen könne. Händeringend flehte er die Kameraden an, ihn aus dem entsetzlichen Gefängniß zu befreien.
Die Angst wirkte ansteckend auf die Uebrigen. Dumpfe Verzweiflung ergriff sie und ihre Schmerzensschreie verhallten völlig ungehört. Es war eine schlimme Lage, in der sich die vier befanden. Das Gespenst des Vergungern und Erstickens erschien ihnen immer deutlicher und die Hoffnung auf rechtzeitige Erlösung aus dem Sandloch schwand immer mehr.
Da kriegte Pietsch einen Gedanken, den letzten äußersten Versuch wollte er machen. Seine Trompete hatte einen scharfen, durchdringenden Ton; er mußte durch die Wände nach oben dringen, wenn auch nur ganz leise, doch immerhin laut genug, um von Einem oder dem Anderen gehört zu werden, und das Signal, welches er sich ausgesucht hatte, war das „Feuerlärm-Signal”, welches mit seinen greulichen Tönen auf Jeden einen tiefen Eindruck machte, weil es den größten Schrecken bedeutet, den man auf einem Schiff bekommen kann.
Er theilte seinen Kameraden den Plan mit, aber so angstvoll diese auch waren, so gewagt schien ihnen doch ein derartiger Versuch. Man denke nur: in ein schlafendes Schiff das Feuersignal werfen, das hieß die ganze Besatzung aus den Betten jagen, die gestrenge Person des Commandanten nicht ausgeschlossen.
Selbst Blasius wollte lieber verhungern, als solche Verantwortung auf sich laden. Klapphorn und Schläger behaupteten sogar, Pietsch wäre verrückt geworden, und ergaben sich schließlich dumpfer Gleichgültigkeit. Dem Obermatrosen war jetzt alles Piepe.
„Meinetwegen”, sagte er, „mögen sie nachher machen, was sie wollen. Ich blase. Mehr als in den Kasten sperren können sie schließlich auch. nicht. Aber hier muß ich heraus, sonst ersticke ich. Und — das kann kein Mensch von mir verlangen!”
Und ehe ihn die andern hindern konnten, schmetterte er die dumpfen Töne mit schärfster Betonung gegen die Decke der Sandlast.
* * *
Im Batteriedeck baumelten bei der leichten See die Hängematten der Freiwache in friedlichem Schaukeln und tiefes Schweigen herrschte in dem stillen Raume. Klose, in der ersten Hängematte im Bug, träumte soehen von seiner Großmutter und dem Haus auf der Düne, in welchem er als Junge umhergetummelt. Da fuhr jäh etwas durch seine Träume; er erwachte mit gräßlichen Gedanken, sein Haar sträubte sich, und er lauschte gespannt in die Nacht hinaus.
Ganz deutlich vernahm er jetzt, freilich wie aus weiter Ferne, das Feuersignal. Und dabei diese drückende Stille im Schiff. Jetzt hörte er's wieder ganz deutlich. Er gab seinem Nachbar Honnemann einen Stoß, daß der erschreckt auffuhr.
„Was is denn los?” schrie dieser laut.
„Still”, flüsterte Klose,„hörst Du nichts?” „Um Gotteswillen ja! Das Feuersiqual! Es ist Feuer im Schiff!”
Unwillkürlich hatte er lauter gesprochen. Das hatte ein Dritter im Halbschlummer gehört und laut brüllte dieser auf:„Feuer im Schiff! Feuer! Feuer!”
Eine plötzlich einschlagende Granate hätte keine fürchterlichere Wirkung haben können. Im Nu war das ganze Batteriedeck lebendig; die Schläfer sprangen entsetzt aus den Hängematten und „Feuer, Feuer!” schallte es aus hundert Kehlen zugleich durch alle Winkel des Schiffes. Der Schreckensruf hatte sich sofort dem Zwischendeck mitgetheilt und aus allen Ecken stürmten die erschreckten Matrosen halb oder gar nicht angekleidet an Deck, wo die furchtbare Kunde die Wache mit ungeahnter Schnelligkeit auf die Beine brachte.
Lieutenant Blitz war aus seinen poetischsten Empfindungen aufgestört. Er war so weit im Reiche der Ideale gewesen und nun so jäh zurückgeschleudert in die grelle Wirklichkeit. Da drangen aus Luken weiße Gestalten mit angstverzerrten Gesichtern und hundertfältig erscholl der Ruf„Feuer, Feuer” aus allen Kehlen. Alles stürmte in blinder Hast durcheinander, selbst das heilige Achterdeck wurde nicht geschont, genug man mußte einen festen Kopf haben, wenn man hierbei Herr der Situation bleiben wollte.
Zum Ueberfluß pfeift der Bootsmannsmaat: Wache klar zum Manöver! Auch der Bootsmann ist an Deck gerast und sein fürchterliches: „Alle Mann auf, klar zum Manöver, Hornist Feuerlärm blasen!” schallt durch den furchtbaren Wirrwar. „Wo steckt der Himmelhund? Plietsch, Hornist, Lümmel, Blechpuster Feuerlärm!” Er hat bei dem furchtbaren Zustande, in dem sich das Schiff befindet, den Kopf verloren.
„Steuermannsmaat, wecken Sie den ersten Officier und melden Sie Feuer!” ruft Lieutenant zur See Blitz dazwischen. Auch er ist von dem allgemeinen Rausche ergriffen. „Läufer schlag Feuerlärm mit der Glocke.— Wachtmeister, Arrestanten raus!”
Der Lärm wird immer schlimmer, die Glocke tönt durch das Schiff. Der Zimmermeister stürmt an Deck und meldet: „Die Pumpen sind angeschlagen!” Der Steuermann ruft durch das Sprachrohr in den Maschinenraum hinunter: „Maschine, wie steht es mit der Dampfpumpe?”
„Dampfpumpe ist klar zum Angehen”, tönt es von unten herauf. Lieutenant Blitz hat inzwischen die verschiedensten Leute nach dem Orte des Feuers gefragt, aber kein Mensch kann ihm Auskunft geben. Es hat weder Jemand etwas gesehen noch gerochen, und eine furchtbare Ahnung dämmert in ihm auf: „Wie, wenn der Lärm blind gewesen wäre? Kreuzoberbramstenge!” Er hat schon massenhaft Leute ausgeschickt, nach der Brandstelle zu sehen, aber bis jetzt ist keiner zurückgekehrt.
Da stürmt wie eine Bö Korvettenkapitän Donner daher, der erste Officier. Er war bereits im Zwischen- und im Batteriedeck, aber dort wußte Niemand etwas über den Brandheerd.
„Ha!!!” Er ist auf den Bootsmann getroffen. „Bootsmann Wo ist das Feuer?” schnaubt er diesen an.
„Ich weiß es nicht, Herr Kapitän!” antwortet dieser, der inzwischen etwas ruhiger geworden ist.„Ich habe noch keinen Funken gesehen.”
„Sie wissen es nicht, so?” ruft der erste Officier mit scharfer Ironie. „Sie scheinen nie etwas zu wissen! Wo haben Sie geschlafen? Herrrrrr — — —!”. Und er stürmte weiter, wie eine losgeschossene Kanonenkugel, zum Deck empor, zu dem unglücklichen, poetisch veranlagten Lieutenant Blitz!
Dieser befindet sich in einer nicht beneidenswerthen Lage. Es hat sich ihm inzwischen die Ueberzeugung aufgedrängt, daß thatsächlich kein Feuer im Schiffe sei. Allein dieser brodelnde Hexenkessel, dieses Gelaufe und Geschimpfe um ihn her hat ihm doch einigermaßen seine Gedanken verwirrt. Unschlüssig, was er thun soll, läuft er auf der Commandobrücke hin und her. Er möcht am liebsten 1000 Meilen von hier sein, er denkt allen Ernstes in der Eile an Einreichung seines Abschiedsgesuches — da stürmt schon der Korvettenkapitän wie ein Wetter auf ihn mit der gräßlichen Frage: „Herr Lieutenant, wo ist das Feuer?”
Ja, wo ist das Feuer, wenn er's nur selber wüßte. Aber diese unglückliche Frage hat er sich selbst schon hundert Mal vorgelegt, ohne sie beantworten zu können.
„Nun, wollen Sie nicht gefälligst antworten, Herr Lieutenant Blitz?” drängt der erste Officier mit Schärfe.
„Ich — ich habe noch nicht — ich habe noch keine — Meldung erhalten, Herr Kapitän”, antwortet Blitz endlich mit der Hand an der Mütze.
„So? Keine Meldung erhalten? Haben keine Ahnung wo und ob überhaupt Feuer im Schiff ist, und schlagen Feuerlärm. Das nenne ich.... Ach der Herr Commandant.”
In der That kam soeben der Obercommandirende des Schiffes heran. Er war zwar auch in Folge der Feuermeldung in einiger Erregung und hatte in der Eile bereits die wichtigsten Papierc zu sich gesteckt, so daß er noch etwas „wohlhabender” aussah als sonst. Im Allgemeinen aber war der Kapitän zur See Sponagel ein jovialer Herr, der nicht allzustreng über Vergehen seitens der Untergebenen urtheilte, wenn sich dieselben auf entschuldbare Mißverständnisse zurückführen ließen. Er war das Gegentheil seines ersten Officiers, der über jede Kleinigkeit in heftige Erregung gerieth.
So wirkte sein Erscheinen gewissermaßen beruhigend auf die Brandung, welche noch immer das Schiff durchtobte, und allmählich glätteten sich unter seiner umsichtigen Leitung die hochgehenden Wogen.
Das Schiff war in allen seinen Theilen durchsucht, ein Feuerheerd aber nicht entdeckt worden. Nur die unglückliche Sandlast hatte man übersehen? Aber wer geht dahin, auch mit Licht? Dort hatte Niemand etwas zu suchen und der feuchte Sand konnte doch überhaupt kein Feuer fangen, nicht einmal, wenn ihm einer böswillig hätte anzünden wollen.
Die Eingeschlossenen hatten das Getrampel über ihren Köpfen vernommen. Es wurde so viel hin und her gelaufen, daß ihnen schließlich ganz Angst und Bange da unten wurde. Jede Minute erwarteten sie, daß das Luk geöffnet wurde. Aber Gott bewahre. Alles stürmte vorbei und darüber weg, doch öffnen that Keiner.
Herr des Himmels! Wenn wirklich Feuer wäre. Um Gotteswillen, dann müßten sie ja hier elendiglich verbrennen oder das Schiff flog in die Luft, ehe das Feuer an die Sandlast kam, und der Vordersteven nahm sie mit sich in die Tiefe. Herr, erbarme Dich! Heller Angstschweiß rinnt ihnen von der Stirn und unwillkürlich sinken sie auf die Knie und flehen in inbrünstigem Gebet um Rettung.
Ein verzweifelter Gedanke kommt ihnen. Sie wollen einen Parademarsch spielen, was die Lungen hergeben und das Kalbfell aushalten kann! Man macht sich bereit, da entdeckt Schläger, daß seine Trommel zwei gewaltige Löcher hat; mit ihr ist also nichts anzufangen. Aber er muß mithelfen, denn jetzt heißt es spielen um das Leben. Er findet im Raum einen großen Knüppel, mit dem stößt er rhythmisch gegen das vermaledeite Luk und die Pauke ist fertig.
„Eins, zwei, drei!” commandirt Plietsch, und los geht es, eine wahre Höllenmusik.
„Dirum, dirum, dirumbumbum: dirum, dirum, dirumbumbum; radideldidelbumbumbum u. s. w. Es ist ein infernalischer Spektakel, den die vier da unten vollführen. Die Hornisten blasen, daß ihnen die Backen zu platzen drohen, der Tambour bearbeitet das Kalbfell, was seine Armkräfte hergeben wollen, und Schläger ballert gegen den Lukendeckel, daß man glauben müßte, er spränge jeden Augenblick entzwei. Aber das Luk ist gut gearbeitet.
Oben hat sich inzwischen Alles beruhigt; die Freiwache ist wieder zur Koje gegangen, der Kapitän ist von Deck verschwunden und der erste Deckofficier hat den Detaildeckofficieren befohlen, ihre Decks noch einmal abzuschreiten. Lieutenant Blitz bleibt auf der Commandobrücke allein mit der Nase, die er vom ersten Officier bekommen hat, und seine Gedanken sind momentan keineswegs poetisch. Gott sei Dank! Wenigstens hat sich der erste Officier zurückgezogen und man kann wieder aufathmen.
Der Feuerwerker ist inzwischen in die Batterie geklettert und schlängelt sich durch die Hängematten; er kommt bei dem anbefohlenen Rundgang auch in den Bug, da, wo sich der Eingang zur Sandlast befindet. „Was ist denn das? Da tönt ja Musik!” Er lauscht. Ein Parademarsch! Kein Zweifel. Was soll das bedeuten? Er sieht aus den Stückpforten, ob ein Mitsegler in der Nähe ist. Draußen alles still. Aber hier, immer deutlicher schlägts an seine Ohren, es ist wahrhaftig ein preußischer Parademarsch: dirumdirumdirumbumbum . . . . . .
Geisterhaft schallt es durch die stillen Räume. Jetzt kommt er an das Luk, welches die Sandlast abschließt, da hört er deutlich das Bummern gegen den Deckel derselben.
„Mein Gott!” Jetzt fällt ihm ein, daß die Spielleute heute Nachmittag dort unten geübt haben. Aber warum kommen sie nicht heraus? Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen! Sie müssen verrückt geworden sein, denn in der Nacht einen solchen Höllenspektakel auszuführen, dazu muß einer mindestens den Verstand verloren haben.
Er versucht das Luk zu öffnen. Umsonst! Es ist verschlossen. „Lieber Brahma, die Leute sind eingesperrt!” Er will sich bemerkbar machen und klopft gegen den Deckel; vergebens! Er ruft, macht die ganze Freiwache munter; umsonst! Die da unten machen einen Lärm, daß nichts verfängt. Er ballert mit den Absätzen gegen das Luk; alles vergeblich! Er wird übertönt.
Ruhig wartet er nunmehr das Ende des Stückes ab; sie müssen doch verschnaufen. Eine solche Teufelsmusik können selbst Wahnsinnige nicht auf die Dauer aushalten. Endlich, endlich machen sie einen Augenblick Pause. Da bummert er schnell mit den Füßen an und lauscht.
„Hülfe, Hülfe!” tönt es jetzt von unten.„Wir ersticken!” Dann hört er einen dumpfen Fall, und alles ist still.
„Herr Gott, sie ersticken!” ruft er bei sich und eilt, so schnell er kann, an Deck zum wachthabenden Offizier.
„Herr Lieutenant, da unten — da unten — —”
„Na, was ist denn da?” ruft Blitz ungeduldig. „Haben Sie das Feuer endeckt?”
„Nein, Herr Lientenant, aber da sind Leute in die Sandlast eingeschlossen — sie ersticken.”
„Herr des Himmels! Leute eingeschlossen — sagen Sie? In die Sandlast — sagen Sie? Unsinn.”
Endlich mußte er's glauben. Unter allerlei argen Abenteuern wird der Schlüssel zur Stelle geschafft; Commandant und erster Officier stellen sich ein und hin geht's zur Sandlast. Der Luken-Deckel fliegt hoch und gerade dem Corvetten-Kapitän gegen die Schienbeine, denn Schläger führte soeben mit dem Knüttel einen Pankenschlag gegen denselben. Da unten wurde es still. Der erste Officier aber schreit hinunter:
„Ihr seid wohl verrückt geworden da unten? Was? Euch hat wohl eine Tarantel gestochen? Heraus mit Euch, Ihr blödsinnigen Nachtwächter!”
Der Bootsmann postirte den Läufer mit seiner Laterne so, daß er Jeden, der aus dem Luk hervortaucht, grell beleuchtet. Himmel, wie sehen die Menschen aus! Das sind ja wandelnde Sandsäulen, eingedreckt von oben bis unten. Erster Officier und Bootsmann sind außer sich. Der Feuerwerker kann sich kaum das Lachen verkneifen über die dort hervorkriechenden Gespenster.
Zuerst arbeitet sich Pietsch empor. Er sieht aus wie in Sand gewälzt und auf dem Rücken und in den Haaren hat er lauter Wergflocken, sein Gesicht ist stark geröthet und von der Stirn perlt der Schweiß in großen Tropfen, die lange Rinnen in das sandbeschmutzte Gesicht gezogen haben. Sein Signalhorn erweist sich als stark verbeult; es muß in der Dunkelheit Jemand darauf getreten haben.
„Vier Spielleute zur Stelle”, meldete er in diesem Aufzuge dem ersten Officier, dessen eisernes Gesicht aber keine Miene verzieht. Es ist dies ein schimmes Zeichen. Dem Obermatrosen folgen Klapphorn und Blasius ebenfalls in einem völlig menschenunwürdigem Zustande; zuletzt kommt Schläger. Er hat die Trommel über den Arm gestreift, denn das Kalbfell ist an beiden Seiten durch.
„Das ist ja eine nette Bescheerung”, sagt endlich Donner. „Die Kerls sehen aus, wie die leibhaftig gebackenen Schweine und verunreinigen mir das ganze Schiff, Na, Euch will ich! Schnell, erst rein gemacht, dann zwei Stunden mit der Hängematte an Deck stehen, denn ausgeschlafen werdet Ihr jetzt wohl haben.
Die Spielleute wagen kein Wort zu erwidern. Sie thun wie Ihnen befohlen. Wehmüthig stellen sie ihre Instrumenten weg. Es ist ein Unglückstag für sie. Erst versäumen sie das Abendbrod, dann kommen sie um ihren Schlaf in der Hängematte und zuletzt müssen sie noch die Zeit, die sie Freiwache haben an Deck stehen, nachdem sie da unten beinahe erstickt sind. Da möchte der Teufel Spielmann sein auf einem Kriegsschiff. Aber es hilft alles nichts, sie müssen ihre zwei Stunden abstehen, wiewohl sie sich bewußt sind, nichts verbrochen zu haben. Und was sollte der nächste Morgen erst bringen!
Zum Glück interessirte sich der Kapitän für die Feuergeschichte und hatte befohlen, daß ihm über die Sache Rapport abgestattet wurde. Er ließ, nach Auhören des Berichtes, die Sache daber bewenden. — Der Ober-Matrose Plietsch aber führte seit jener Zeit den Namen Allarm-Plietsch und wenn zur Uebung auf der Fregatte Feuerlärm geblasen wurde, riefen sich die Matrosen zu:„Das Echo aus der Sandlast!”
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